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1938
1929 – 1938: Vaters Klavier
Wäre der Krieg nicht gewesen, um wie viel anders hätte dieses Leben verlaufen können..." Welche europäische Lebensgeschichte könnte nicht mit diesem biographischen Standardsatz beginnen – sicherlich fast alle selbst bis zu jenen, die nach 1960 geboren wurden. Doch um sehr viel mehr trifft dieser Satz auf das Leben von Nikolaus Harnoncourt zu. Denn eigentlich stammt Nikolaus Harnoncourt aus einer Familie, die vor dem Ersten Weltkrieg ausnehmend privilegiert war. Der Vater aus dem Geschlecht der luxemburgisch-lothringischen Grafen de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt, die Mutter als Gräfin Meran und Freiin von Brandhofen eine Urenkelin des legendären steirischen Erzherzogs Johann. Doch als Nikolaus Harnoncourt am 6. Dezember 1929 in Berlin geboren wird, arbeitet sein Vater dort als Bauingenieur. Nach den revolutionären Umwälzungen in der vernichteten Habsburgermonarchie ist kaum mehr als der Name geblieben, und nach der Rückkehr der Familie ins heimatliche Graz der Unterschlupf in einem Teil des Grazer Palais Meran, wo Nikolaus Harnoncourt seit 1931 aufwächst. Was jedoch keineswegs von äußerem materiellem Wohlstand abhängig scheint, ist die kulturelle Atmosphäre, in die der Knabe hineingeboren wird. Regelmäßig wird in der Familie musiziert, und eine der frühen Erinnerungen von Nikolaus Harnoncourt führt auf eine Spur, die er sein Leben lang nicht verlässt. Harnoncourts Onkel René war Direktor des New Yorker Museum of Modern Art und ein Freund von George Gershwin. Eines Tages schickt der den druckfrischen Klavierauszug von Gershwins American Folk Opera „Porgy and Bess“ nach Graz, die der Vater am Klavier durchspielt. Der kleine Nikolaus sitzt unter dem Klavier und hört gebannt zu. „I’ve got plenty of nuttin’“ macht damals einen ganz besonderen Eindruck auf den Jungen. Insgesamt ist das eine Kindheit, die Nikolaus Harnoncourt immer wieder als sehr glücklich, unbelastet und unkompliziert beschreibt. Man darf es ihm getrost glauben. Doch lange währt das Familienidyll in den Ausläufern der hochherrschaftlichen Zeit nicht. 1938 marschieren die Truppen Hitlerdeutschlands in Österreich ein. Das Palais wird zwangsverkauft. Der Schrecken regiert…
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