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1948
1939 - 1948: Kriegskindheit
…Nikolaus Harnoncourt war noch nicht zehn Jahre alt, als Adolf Hitler Graz besuchte. Bis heute erinnert er sich voller Bestürzung an den Ausnahmezustand, die Hysterie oder das stumme Entsetzen, den dieser Tag ganz unterschiedlich, je nach Haltung, bei den Menschen hervorrief. Man wird sicher nicht zu viel vermuten, wenn man in diesem Tag nicht nur den Abschied von einer unbeschwerten Kindheit sieht, sondern auch die Initialzündung für ein ganz bewusstes Auseinandersetzen mit den Ereignissen der politischen Gegenwart. Nikolaus Harnoncourt hat immer wieder erzählt, dass er schon als Kind von einem ausgeprägten Widerspruchsgeist beseelt war. Doch der Einbruch des Nationalsozialismus hatte eine ganz andere Qualität, die nicht mehr mit den gewohnten Verhaltensweisen zu bewältigen war. In einer sehr privaten Stellungnahme gibt Nikolaus Harnoncourt einen Einblick in diese Ausnahmesituation: „Ich muss sagen, dass für mich persönlich die Nazizeit das Trauma, das traumatische Erlebnis schlechthin ist, das meine gesamten Haltungen und Handlungen immer wieder beeinflusst und überschattet.“ Um von einer Zeit zu berichten, in der der Künstler Nikolaus Harnoncourt noch nicht durch seine Arbeit spricht, sei es gestattet, ihn selbst noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Nikolaus Harnoncourt hat eine eigene kurze Liebeserklärung an die Stadt Graz formuliert, die viel von den Jahren erzählt, in denen er erwachsen wurde. Sie steht in keinem Widerspruch zur Bedrohung durch die Nazis, sie wird weder aufgerechnet noch abgewogen, sondern bleibt in ihrer Parallelität so stehen, wie es oft im Leben ist: Das Entsetzliche und das Wunderbare können auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig existieren und wahrgenommen werden: „Die kulturelle Atmosphäre der Stadt Graz, ist etwas, was man vielleicht gar nicht mehr so sehr erkennt, wenn man immer hier ist. So etwas wie diese Altstadt, diese wunderbare Symbiose von Natur und Architektur und Menschen, die Lebendigkeit dieser Stadt. Ein Gang auf den Schlossberg, und ein zerrüttetes Nervenkostüm ist wieder im Gleichgewicht. Das hat ganz bestimmt großen Einfluss gehabt auf meine Sicht der Kultur und auf meine Aufgabe, die ich darin sehe, für die Kultur als einen wesentlichen, zentralen Punkt des menschlichen Lebens zu kämpfen. Weil ich sehe, wie sehr das an Bedeutung zu verlieren scheint aus Kurzsichtigkeit und manchmal Unvernunft der Maßgebenden.“ Schon als Volksschüler hat Nikolaus Harnoncourt beim Grazer Musiklehrer Hans Kortschak Cellounterricht. Und als die Bombenangriffe auf Graz immer heftiger werden, zieht die Familie 1944 ins Salzkammergut. Dort begegnet Nikolaus Harnoncourt dem herausragenden Wiener Cellisten Paul Grümmer, der dem Jungen Unterricht gibt. Doch aus dem Cellospielen einen Beruf zu machen, kommt Nikolaus Harnoncourt noch nicht in den Sinn. Viel mehr fasziniert ihn das Marionettentheater. Er stattet Stücke aus, organisiert und inszeniert, nach Kriegsende zurück in Graz, deren Aufführung. Doch eine Radioübertragung von Beethovens 7. Sinfonie im Jahre 1947 bringt ihn endlich zum Entschluss, sich der Musik zu verschreiben. So zieht Nikolaus Harnoncourt nach Wien und beginnt 1948 das Cellostudium bei Emanuel Brabec, einem Solocellisten der Wiener Philharmoniker…
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