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2008
1999 - 2008: Endlich glücklich
…Ich bin nicht engagierbar“ - so hat Nikolaus Harnoncourt einmal in einem Interview seine Position der künstlerischen Freiheit definiert. Was meint, dass er sich weder den Gegebenheiten des üblichen Musikbetriebes und schon gar nicht dessen Marktgesetzen unterwirft. Dem aufreizenden Mangel an Interesse, sich für Geld fremd bestimmen zu lassen, entspricht die Hingabe, wenn es darum geht, sich selbst zu engagieren. Wenn es gilt, mit dem eigenen erreichten Status Jüngere auf dem Weg zum Welterfolg zu begleiten wie Cecilia Bartoli, Anna Netrebko oder Pierre-Laurent Aimard. Und vor allem wenn es gilt, unser aller Vorurteile aus dem Weg zu räumen, die uns daran hindern, ein Kunstwerk zu verstehen. Zum Beispiel, was die „Leichte Muse“ betrifft. Dass Jacques Offenbach nicht nur ein König der Melodien, sondern auch ein hochpolitischer, bissiger Satiriker war, kann man in einigen Musikgeschichten nachlesen. Doch es zu hören, und zu verstehen, was für ein ausgezeichneter Komponist Offenbach ist und wie tief und schwarz die Abgründe seiner Musik sind, das verdanken wir Nikolaus Harnoncourt. Oder was hinter der zum Allerweltsrepertoirestück heruntergewirtschafteten „Carmen“ von Georges Bizet steckt: Das hat man aufrüttelnder, finsterer nie gehört, als in der Produktion von Nikolaus Harnoncourt und Andrea Breth bei der styriarte 2005. Dass aber schließlich die Wiener Philharmoniker Nikolaus Harnoncourt das Highlight des in alle Welt versendeten Neujahrskonzerts anvertrauen, und das zwei Mal, zeigt den Paradigmenwechsel, der sich inzwischen vollzogen hat. Denn Nikolaus Harnoncourt hat ja nicht nachgegeben. Er inszeniert den Vater-Sohn-Konflikt im Hause Strauß mit dem bitterbösen, reaktionären Radetzkymarsch nicht weniger hart, nur weil die Mehrheit der Zuhörer ihn als butterweichen Klatschmarsch kennt. Der Unterschied ist, dass die Mehrheit inzwischen nicht nur bereit, sondern höchst begierig ist, dem zuzuhören. Dass sie begreift, warum ein Musiker so radikal Fragen stellen muss: um dem Werk, dem Komponisten gerecht zu werden. Möglichst nah an den authentischen Ausdruckwillen des Schöpfers heranzukommen – die Idee, die Vorstellung, die Vision des Komponisten. Und dabei gilt es, nicht nur die völlig abwegigen Irrtümer der Geschichte zu bekämpfen. Mit den kleinen, scheinbar harmlosen fängt es an. Etwa mit dem Irrtum, Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Idomeneo“ sei unter den großen Mozartopern das sperrigste Stück, eigentlich eine auf höchstem Niveau misslungene Opera Seria mit schönen Momenten. Und wenn es die unmögliche Aufgabe bedeutet, als Dirigent auch selbst Regie führen zu müssen, um einmal im Leben Mozarts Entwurf nach Mozarts Vorstellungen auf die Bühne zu bringen, dann tut es Nikolaus Harnoncourt. Und eröffnet selbst bei einem so bekannten Komponisten immer noch gänzlich unbetretene Räume. So geschehen bei der styriarte 2008. Und wer dem Dirigenten nach einer jeden der Aufführungen mit dem ungekürzten Ballett, getanzt von Heinz Spoerlis Zürcher Compagnie und musiziert vom Concentus Musicus Wien, begegnete, wird mit Camus sagen dürfen: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“…
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